Puppenspiel-Infos Puppenspiel in Paderborn um 1940

Puppenspiel in Paderborn um 1940

Aus einem alten Monatsheft von 1941/42 zum Thema Puppenspiel:


In sehr einf?hlsame Weise berichtet Fritz Martin Rintelen ?ber den alten Puppenspieler Jakob Rotenhagen, der zusammen mit seiner Frau und einem pferdegezogenen Wagen auf dem Weg zu den Quellen der Pader.

Grund f?r Fahrt ist die Auff?hrung auf dem Liboriberg, der Kirmes anl?sslich des j?hrlichen Sch?tzenfestes.

Eindrucksvoll berichtet F. M. Rintelen ?ber das Kaspertheater des alten Puppenspielers, der selbst in der N?he von Paderborn geboren sein soll.
F. M. Rintelen (er besuchte zum Sch?tzenfest seine Gro?mutter in Paderborn), erz?hlt auch von seinen eigenen Amateur-Puppentheater und beweist sich in einer umfassenden kulturhistorischen Zusammenfassung zur Entwicklung des Puppenspiels in Deutschland und Europa als gro?er Kenner des Fachs.


Wundersch?ne Aquarelle verschiedener Puppenb?hnen dieser Zeit zieren das sechsseitige Bl?ttchen, das f?r unsere Region und f?r das Puppenspiel allgemein von historischer Bedeutung ist.


Wir haben uns die M?he gemacht und den gesamten Bericht mit Bildern allen Interessierten zug?nglich gemacht.


Leider sind in keine Bilder von Puppenspieler Rotenhagen oder seinem Puppenspiel vorhanden.


Darum unsere Frage:

Wer verf?gt ?ber weitere Informationen oder hat Bilder von dem Puppenspieler Jakob Rotenhagen, der um 1940 regelm??ig auf dem Liboriberg auftrat?

Wer war der puppenspielbegeisterte Fritz Martin Rintelen? Wo lebte er?



Jeder, der uns weiterhelfen kann, erh?lt Freikarten f?r unser Abend-Programm f?r Erwachsenen!

R?ckmeldungen bitte direkt in unser G?stebuch auf unserer Homepage oder der Kasperhotline 05251/777112.


Und hier der tolle Bericht:


F?nf Jahrzehnte Freundschaft mit einem Tausendj?hrigen!

Von Fritz Martin Rintelen

Auf der n?chtlichen Landstra?e ?chzte und knarrte ein Fuhrwerk hinter dem m?de schreitenden Pferde. Eine Eule schrie im schwarzen Wald. An der Deichsel des Wagens schwankte eine runde Laterne. Das tr?bgelbe Licht glitt an dem tiefgesenkten gro?en Kopf des mageren Pferdes hinauf. Auch die rechte Gesichtsh?lfte Jakob Rotenhagens wurde von unten herauf gelblich beleuchtet, so da? die linke H?lfte seines Kopfes um so schw?rzer blieb, und der alte Fahrende mit nur einem halben Sch?del neben seinem schnaufenden Gaul durch die Dunkelheit zu schreiten schien.

Das holpernde Fuhrwerk war ein windschief gewordener Wohnwagen, der eine wunderliche gro?e Familie ?ber die Landstra?e trug. Die ?ltesten der vielen Kinder Jakob Rotenhagens stammten noch von seinem Gro?vater. Eines war ein pr?chtiger K?nig, der Purpur, Zepter und Krone auch zum Schlafen ebenso wenig ablegte wie seine Minister und Hofherren Ihre Orden, die anderen waren Kriegsleute, B?rger und Bauern, Weise und Narren, Tod und Teufel, anmutige, liebenswerte Damen und h??liche, z?nkische Weiber.


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Der Kasper der K?nstlerischen Handpuppenspiele
"Die Hohnsteiner".
Aquarell von Lotte Winnen


Alle hingen jetzt stumm in bunter Reihe an den Innenw?nden des morschen Wagens und schlenkerten gespenstig ihre zappeligen Glieder bei jeder knirschenden Drehung der niedrigen R?der ?ber einen Steinbuckel oder durch eine Pflasterfurche der Stra?e.
An manchen Abenden aber, wenn Rotenhagen seinen Wagen in einer Ortschaft anhielt, wurden sie von ?berstr?mendem, schicksalhaftem Leben erf?llt. Ihre K?nste, mit denen sie um Gunst und Gabe warben, waren mannigfach und gro?. Sie konnten sich nach Belieben verrenken, auf den H?nden laufen, mit abgeschlagenem Kopf umherh?pfen, an den W?nden emporklettern, durch die Luft fliegen, sterben und auferstehen.
Sie st?rzten sich aus Liebe, Spa? und Spott in Zorn, Ha?, Raserei und alle Schmerzen.
Sie schlugen Purzelb?ume aus tiefster Verzweiflung zu fr?hlichem Gel?chter.

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Mozart am Spinett.
Figur des Salzburger Marionettentheaters.
Aquarell von Adolf Vogel



Die Rotenhagen stammten aus einem Dorf in Westfalen, unweit der Stadt, zu der jetzt der alte Jakob wieder auf Fahrt war.
Aber schon drei Generationen aus dem reichen Lande der sonst so Se?haften waren als Puppenspieler umhergezogen.
Der Enkel hatte schlohwei?es Haar und wu?te nichts mehr von festem Haus und Hof.
Jakobs Frau aber war vor sechsunddrei?ig Jahren aus einem Bauernhaus im Hanauer Land dem damals lichtblau gestrichenen Wohnwagen gefolgt.
Vorher hatte sie oft, an statt auf den Acker zu gehen, zwischen Dorf und Nachbardorf auf der Hexenkuppe im Gras gesessen und sich sehns?chtig in der weiten Landschaft umgesehen, die von Taunus, Vogelsberg, Spessart, Rh?n, Odenwald, Bergstra?e und Donnersberg begrenzt ist.
Auf dem stillen H?gel waren in schlimmer Zeit vier arme alte Weiber miteinander verbrannt worden.
Die Bauern gehen noch jetzt nicht gern dorthin.
Aber die Hanne hatte immer wieder die einsame H?he besucht, um von dort in die goldene Ferne auszuschauen.
Als lange Zeit nach ihrer Flucht der blaue Wagen wieder einmal in ihre Heimat kam, stand das Elternhaus nicht mehr.
Von der Familie war niemand mehr im Dorf ans?ssig, und ?ber das v?terliche Grundst?ck, das sich im Keimen und Reifen weit ausgebreitet hatte, erstreckte sich der graue Schlackenberg einer l?rmenden Maschinenfabrik.


An jenem Tage hatte die Frau erkannt, da? der blaue Wagen und seine Bewohner nicht mehr recht in die Zeit pa?ten, obwohl noch immer die Jugend den Kasperl allerorten mit Freude begr??te.
Das Pflaster der Landstra?en war besser geworden, als es zu Anfang ihrer Irrfahrt gewesen.
Aber die Stimmen der holzgeschnitzten M?nnlein und Weiblein durchdrangen nicht das Tosen der neuzeitigen gro?en Maschinen.
Das Lachen Kasperles, des ?ltesten von Jakob Rotenhagens Kindern, war erstarrt. Und dem so Verwandelten war der Puppenspieler selbst ?hnlich geworden.
Von Kindheit an in vertrautem Umgang mit den drahtbewegten Puppen, hatte der Mann schlie?lich viel von ihrer Art angenommen.
Sein Gesicht war eingefallen, hart und verwittert, als w?re es aus Holz geschnitzt.
Die Kleider umschlotterten seinen Leib, als ob er das vielgliederige Gestell einer menschengro?en Marionette w?re.
Seine Bewegungen, wenn er den Kopf ruckweise nach rechts oder links drehte, wenn er die Arme von sich stie?, wenn er ging, sich setzte, sich b?ckte, waren wie von den Dr?hten des Puppenspielers gelenkt.


Der Wagen knarrte und rumpelte langsam vorw?rts.
Schon d?mmerte der Morgen herauf, als ein frischer Windsto? das heisere Gebell eines Hundes herantrug.
Jakob Rotenhagen und sein Pferd hoben, wie an unsichtbaren Dr?hten, die K?pfe. Ein einzelnes Haus stand vor ihnen an der Stra?e, jetzt ein zweites, ein drittes und viertes.
Sie sahen den m?chtigen grauen Turm des Domes aufragen, der ?ber den Quellen der Pader gebaut ist.
Sch?tzenplatz und Liboriberg der alten Stadt waren seit vielen Tagen Ziel der Wanderung vieler fahrender Leute gewesen, dieser Au?enseiter im gro?en Rennen um Gl?ck und Gewinn, dieser Traumwandler, Kunstreiter, T?nzer auf dem Seil, Ringer am Abgrund, Wolkenkuckucksheimer.
Der Wohnwagen Jakob Rotenhagens rumpelte durch die Reihen der Zelte und Bretterbuden nach dem angestammten Standplatz.
Dort begannen der Puppenspieler und seine Frau sogleich mit dem Aufschlagen des hundertmal geflickten und gestopften Zelthauses, der kleinen B?hne, der B?nke f?r die Zuschauer.
Schon in den fr?hen Morgenstunden erschienen die ersten Besucher des Festplatzes, neugierige Buben und M?del, die es nicht erwarten konnten, in dieser Wunderwelt umherzustreifen, den Geruch von Tieren, S?gesp?nen, Karbid und Benzin zu wittern, das Gebr?ll eines L?wen aus der Zirkusmenagerie zu h?ren, einen schnellen Blick in die Schaubuden zu werfen oder gar in einen der schicksalbeladenen bunten Wohnwagen.

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Typen der Aachener Stockpuppen.
Aquarell von Bert Heller



Wenn in jenen vergangenen Jahren ich selbst allsommerlich an diesem ersten Vormittag des gro?en Sch?tzenfestes im bequemen Eisenbahnzug auf der blanken Schienenstrecke neben der staubigen Landstra?e nach Paderborn gefahren kam, um f?r ein paar Wochen die Gro?mutter zu besuchen, freute sich das Jungenherz wohl am meisten auf die Parade der Gr?nr?cke am Morgen, das knatternde Feuerwerk am Abend und besonders auf des alten Jakob Rotenhagen Puppenspiel auf dem Liboriberg, das dem Knaben alle M?rchenwunder leibhaftig erstehen lie?.
Zu Hause wurde es in dem B?hnenrahmen, den eine Stuhllehne hergab, wiederholt. Meine ersten Schauspieler waren T?cher mit dicken Knoten als K?pfen.
Jedoch sie lebten leidenschaftlich und waren bedingungslos bereit zu allen b?sen und edlen Taten.

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K?nstlerische Handpuppenb?hne F.K. Hellwig,
Frankfurt a. M.
Aquarell von Wilhelm Schmidthild



Schattentheater, Handpuppen und Marionetten sind bis heute mein Lieblingsspielzeug geblieben.
Als ich l?ngst verheiratet war und die ersten grauen Haare bekam, habe ich mir noch einmal eine gro?e Marionettenb?hne gebaut.
Sie war nicht f?r Kinder bestimmt, sondern eine ernsthafte Angelegenheit f?r erwachsene Freunde, die in jenem Herbst und Winter an einem Abend jeder Woche als Mitwirkende oder Zuschauer einer Puppenkom?die bei mir zusammenkamen.
Sie erschienen anfangs mit ungl?ubigem Kopfsch?tteln und geringsch?tzigem L?cheln.
Aber keiner hatte nur einmal vor der kleinen Zauberb?hne gesessen, der nicht mit wahrer Freude und innerlicher Anteilnahme immer wiederkam, wenn eine neue Auff?hrung stattfand.
So haben wir damals in Jahren bedr?ckender wirtschaftlicher Sorgen einen anregenden und unterhaltsamen Ersatz gefunden f?r kostspielige, doch ?berholte Formen der Geselligkeit.
Wie lebendig das Marionettenspiel selbst, obwohl des alten Rotenhagen Gilde schon zu seiner Zeit am Aussterben war, bis zu diesem Tage geblieben ist, zeigen die M?glichkeiten, die es in jetzt erneuerter Form auch f?r die fr?hlich-ernsthafte Auseinandersetzung mit allen bewegenden Tagesfragen, f?r die geistreiche, heiter ?berlegene Behandlung aller auffallenden Zeiterscheinungen bietet.
Daher ist es noch heute kein Einzelerlebnis, da? die kleinen h?lzernen Kom?dianten tiefere Empfindungen wecken und klarere Erkenntnisse vermitteln als mancher Schauspieler des gro?en Theaters.
In der Gliederpuppe, die von unsichtbarer Hand an Dr?hten bewegt wird, sehen wir uns selbst in unserer schicksalsharten Gebundenheit.
Dabei gibt es aber eine sehr merkw?rdige Umkehrung.
W?hrend der Mensch mit allen Kr?ften des Leibes und der Seele emporstrebt, und doch am Irdischen festgehalten wird, m?chte die Marionette immer nach unten und kann sich doch nicht niederlassen, weil sie von oben gezogen wird.
Die Hand- und Stockpuppe aber will in sich zusammenfallen, will sich unter jedem Schicksalsschlag niederlegen wie ein armer hilfloser Mensch und wird doch von unten immer wieder zu guten und b?sen Taten aufgerichtet.
Dazu kommt jener romantische Spott, der in einem alten Puppenspiel den Wurstel mit Schadenfreude dem Teufel, als er ihm die Seele abfordert, antworten l??t: "Fahr' zur H?lle! Ich habe gar keine Seele, du dummer Teufel. Ich bin von Holz, und als ich gemacht wurde, waren keine Seelen mehr vorr?tig."


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Faust und Mephistoheles.
Zangerles Rheinische Marionetten.
Aquarell von Grete Schlegel-Striefen



Jeder M?glichkeit der Einordnung in die Register und Akten der gut organisierten Spie?b?rger aber entgeht der Kasperl mit seiner Aussage: "Ich bin ein Findelkind. Meine Mutter hab' ich nicht gekannt und meinen Vater hab' ich nie gesehen. Der Ort meiner Geburt liegt zwischen Sankt Niklas und Nimmerleinstag, eine Viertelstund' hinter dem ersten April."
Und das erscheint uns glaubw?rdiger und klarer als die Aussage der Gelehrten, dass der n?rrische Weise und weise Narr samt den Puppenspielern, die ihn den mehr oder weniger t?richten Mitmenschen vorf?hren, aus Indien stammen und schon in grauer Vorzeit als Vidusaka, das hei?t Lustigmacher, auf die Fahrt um die weite Welt gegangen sei.


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Nachtw?chter der "Hohnsteiner".
Aquarell von Lotte Winnen



"Liebe Menschen," sagt der Kasperl der Hohnsteiner Puppenspiele, "ihr m??t entschuldigen, da? ich so von oben auf euch hinunterschaue. Ich wei? ganz genau, da? es nicht im Sinne der Volksgemeinschaft ist, wenn einer auf die anderen hinabschaut. Aber das geschieht bei uns Holzk?pfen aus technischen Gr?nden. Soweit es bei den Menschen selber auch noch vorkommt -und es soll noch vorkommen -, geschieht es nicht aus technischen Gr?nden. Keiner soll sich was draus machen. Wer einem begegnet, der auf ihn herabschaut, der soll den Kopf zur?ckwerfen, ihn auch anschauen und dabei denken: ?Du Kerl hast einen Holzkopf!?

"Wenn unsere K?pfe aus Holz sind, m?ssen wir so reden, wie uns der Schnabel geschnitzt ist. Nicht eine Miene verziehen wir, wenn wir den Menschen unsere Meinung sagen. Mancher versteht es, mancher nicht, trotzdem klatschen beide. Jeder denkt, der andere ist gemeint. Dabei meinen wir jeden, der vor unserer B?hne sitzt."

"Sch?n sind wir nicht. Aber man sagt, da? wir charakteristisch sind. Meine Gro?mutter" -das war Kasperls Gretl beim Jakob Rotenhagen - "sagte einmal ganz richtig: ?Wir wollen lieber weniger sch?n sein und daf?r mehr Charakter haben.? Bei den Menschen ist es leider oft umgekehrt. Wir reden nur, wenn wir auf der B?hne sind. Sonst liegen wir in der Kiste und sind ganz still. Es geht in unserer Kiste sehr friedlich zu, alle liegen brav beieinander, K?nig und Teufel, Ritter und Tod, Bauern und Grafen, Geister, Minister und Klatschbasen. Wenn wir recht beisammen sind, meckert keiner, und alle sind zufrieden.
Die Menschen k?nnen sich also ein Beispiel an uns nehmen."


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Szene aus dem M?rchenspiel "Die kluge Bauertochter" von Max Jacob
K?nstlerische Handpuppenspiele "Die Hohnsteiner".
Aquarell von Lotte Winnen


"Ich habe die Menschen sehr gern, und viele haben mich auch gern." -Ja, lieber Kasperl! - "Mit denen habe ich Freundschaft geschlossen, und es wird allemal ein Fest, wenn wir wieder beisammen sind. Und die anderen? Kruzit?rken, wer mich nicht gern hat, der kann mich einmal besuchen und dann wird er mich auch gern. haben. Mahlzeit! Servus! Gr?? Gott! Guten Morgen! Guten Mittag! Guten Abend! Habe die Ehre! Gl?ckauf und Auf Wiedersehen!"


Trotz aller Lustigkeit Kasperls ist die Marionette ein d?monisches Wesen, ihr Handeln ist nur Schein, und sie wird von unserer Hand nach unserm Willen gelenkt, um dann aber mit jeder ihrer l?cherlich r?hrenden Bewegungen uns zu bezaubern und zu erregen, wie nur ein Gesch?pf seinen Meister erregen kann.


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Szene aus der "Entf?hrung aus dem Serail".
Binters M?nchner Marionettentheater
Aquarell von Richard von Kornberger


"Ah da schau', Freunderl, bist eh schon da! Und wann i da bin , bin i da. Mich freut?s, da? wir uns wiedersehen. Gr?? Gott, j?nger bist nicht g'worden. Was sagst, bald f?nfzig Jahr' hast. auf dem Buckel? O jegerl ja, die Zeit vergeht, und die Welt draht sich um und um. Alsdann, neue Zeiten, neue Sitten. Mir g'fallt's! Fr?her hat mich der Gendarm g'fragt, ob, wann, wo i g'boren bin. Jetzt verlangen's von mir einen Ahnenpa?. Aber i hab' meine Sippe gut beinand'. Wir san eine der ?ltesten und einigsten paneurop?ischen Familien."


Und der Kasperl erz?hlt: Bewegliche Puppen des Altertums sind vielfach ausgegraben worden. Xenophon berichtet im "Gastmahl", da? der aufmerksame Wirt Kallias sich zu einem Festmahl, an dem auch der weise Sokrates teilnahm, den bekannten Puppenspieler Potheinos verschrieben hatte, der mit seinen h?lzernen Figuren der fr?hlichen Gesellschaft eine Vorstellung gab. Von den r?mischen Marionetten erz?hlt Horaz. Er nennt sie "ein durch fremde Sehnen bewegliches St?ck Holz". Auch das fr?he Mittelalter kennt Marionetten. In der ber?hmten Enzyklop?die "Hortus Deliciarum" der ?btissin Herrad von Lalldsberg befindet sich die Darstellung zweier mit Schwert und Schild gegeneinander k?mpfender gepanzerter Ritter, die an Schn?ren bewegt wurden. Cervantes, der spanische Sittenschilderer seiner Zeit, l??t seinen Helden Don Quichotte in die Bude eines fahrenden Puppenspielers kommen. Der irrende Ritter sieht "Die Befreiung der sch?nen Melisandra, durch den Helden Gayferos", und Don Quichotte wird durch die Darstellung so erregt, dass er das ganze Theater in St?cke schl?gt. - Italien mit seinem temperamentvollen Volks- und Stra?enleben ist von alters her eine rechte Heimat der Marionetten geblieben. Zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts gab es kaum eine italienische Stadt ohne Puppentheater. Ber?hmt waren die Marionetten auf der Riva dei Schiavoni zu Venedig, auf dem Largo dei Castello von Neapel, auf der Piazzo Navona in Rom.


Die Franzosen haben dem Puppenspiel seinen noch heute volkst?mlichen Namen "Marionette" gegeben. Der Kardinal Mazarin, der ein begeisterter Verehrer der Marionetten war, lie? in Paris durch Theatinerm?nche ein Krippenspiel auff?hren, und diese Darstellungen blieben bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts in Frankreich bestehen. Die geistreiche Schriftstellerin George Sand und ihr Sohn Maurice unterhielten sich auf ihrem Schlo? Nohant aufs beste mit einem eigenen Puppentheater. - Das alte deutsche Puppenspiel sch?pfte sein zauberisches


Leben aus den Volksb?chern vom Doktor Faust, von der Genoveva, den vier Haimonskindern, von Fortunatus und seinem Gl?ckss?ckel und vom Till Eulenspiegel. Als der Drei?igj?hrige Krieg die furchtbarste Not und unsagbares Leid ?ber ganz Deutschland brachte, waren es allein die wandernden Puppenspieler, die von ihrer kleinen B?hne herab dem Volke den Sinn f?r theatralische Darstellungen bewahrten, indem sie es bald auf heitere Art durch den Hanswurst und Seinesgleichen, bald ernsthaft in romantisch r?hrenden St?cken aus den t?glichen Sorgen in eine andere, geistige Sph?re erhoben. So halfen sie, ihm den letzten Funken Lebenskraft zu erhalten.

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Gerhards?Marionetten. Hamburg-Wuppertal
aus dem Spiel "Till Eulenspiegel"
von Walter Kordt und Wilhelm Krah?


In Hamburg sah man um das Jahr 1670 in einer Bude der Neust?dter Fuhlentwiete "Die ?ffentliche Enthauptung des Fr?ulein Dorothea", und wenn die Zuschauer lange genug Beifall klatschten, lie? der Direktor der armen Dorothea den Kopf wieder aufsetzen und die Enthauptung wiederholen. Im Jahre 1740 spielten an der gleichen Stelle die Bayreuther privilegierten Kom?dianten die "Aktion vom ungl?cklichen Todesfall Karls XII. von Schweden". Hierbei wurde die Festung Fried- richshall zweimal bombardiert, die Bomben "spielten accurat ein und aus und als etwas Curieuses rauchte eine Marionette Tabak". In Berlin f?hrte als erster der Schneider Reibehand das Spiel mit h?lzernen Puppen vor. Danach erschien der privilegierte baden-durlachische Hofkom?diant Titus Maas mit seinen Marionetten. Im achtzehnten Jahrhundert gab es in Berlin mehrere st?ndige Puppentheater, von denen uns der Mathematiker Euler berichtet hat, und in den Wirtsh?usern, den Tabagien, kehrten Puppenspieler ein, die bei alt und jung au?erordentlich beliebt waren.


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Szene aus "La serva padrona". K?nstlermarionettentheater Georg D?ninger, Stuttgart.
Aquarell von Ferdinand Herwig


Eine weitber?hmte Heimst?tte fand das Marionettentheater in M?nchen, wo es durch den bayrischen Generalmajor Karl Wilhelm von Heydeck, der auch ein t?chtiger Maler war, begr?ndet worden ist. Heydecks Puppenspiel ?bernahm sp?ter der Aktuar Josef Schmid, dem Franz Graf von Pocci seine St?cke schrieb.
Und Poccis Kasperl springt noch heute auf die Spielleiste und auf die B?hne: "Potz, Donner und Blitz! Das ist wieder einmal eine angenehme Gegend. Beim sch?nen Wetter sind wir aufgesessen. Wie's geblitzt und gedonnert hat, ist der Ritter von seinem Schimmel abg'sessen, und mich hat mein Br?unel abg'schmissen. Wir sind alle zwei zu Fu? da g'standen, und die R??l sind davon g'laufen. H?tt' ich nicht mein Parapluie unterm Arm gehabt, so w?r' ich ohne Zweifel ertrunken und l?ge jetzt als eine leblose Leiche im schauerlichen Wald, um die Auferstehung zu erwarten. Das hei?t man Schicksal. Aber ich lebe noch!"


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Zweiter Akt des Singspiels "Colombine",
Salzburger Marionettentheater.
Aquarell von Adolf Vogel



Unser alter Freund Kasperl lebt noch. Die NS.-Gemeinschaft "Kraft durch Freude" pflegt, heute auch das Puppenspiel und wird dabei von der Reichsjugendf?hrung, der Frauenschaft, dem Lehrerbund, der NSV. unterst?tzt. Das geschieht in voller W?rdigung der hohen, gemeinschaftsbildenden Kraft und politischen Bedeutung, die das Puppenspiel als ?berliefertes Volkstum in sich tr?gt. Daher ist eine strenge Auslese durchgef?hrt worden, und heute haben wir in Deutschland Puppenspielb?hnen, deren Auff?hrungen sich mit denen jedes guten Theaters messen k?nnen, deren Vorstelllungen neben den besten Konzerten und Vortragsveranstaltungen im Abendprogramm der Kulturgemeinde mit Erfolg bestehen. Auch zu unseren Soldaten in den besetzten Gebieten fahren die Puppenspieler hinaus, um den Tapferen Freundschaft und Freude aus der Heimat zu bringen.


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Hampelmann und T?nzerin aus dem Figurenspiegel von Prof. Richard Teschner, Wien


Im Mittelpunkt auch der neuen Spiele steht noch immer der volkst?mliche, n?rrisch kluge Kasperl, dieser unerschrockene, mit Mutterwitz begabte, nat?rliche und kerngesunde Bursche, dessen Kampf gegen Tod und Teufel und alles Unrecht auf Erden ein leicht fa?liches Sinnbild des deutschen Lebens ist, und der so zu einem heiteren Erzieher der Kleinen und der Gro?en wird. Die tiefste Fr?hlichkeit des Herzens, die gr??te Lebenszuversicht sind sein Element. Er l??t sich nicht unterkriegen, so derb ihn auch das Schicksal sch?ttelt. Er ?berlistet den Teufel und schl?gt den Tod tot. In jeder Lebenslage findet er sich zurecht und ist dabei ein treuer, gutherziger Kerl, der f?r seinen Herrn tapfer durchs Feuer geht. In seinem Wesen durchaus nicht so ungeschlacht, wie mancher annimmt, sondern von einem edlen, fast grazi?sen Anstand, ist er oft sogar ?bertrieben h?flich, zudem mitleidig und mitunter von einer r?hrenden Z?rtlichkeit. Wenn er auch nicht zu den solidesten Ehem?nnern geh?rt und sein Gretel nicht immer wie ein gurrender Tauber behandelt, so kann sie sich doch im Grunde keinen besseren Mann w?nschen, und die kleinen h?uslichen Spektakelszenen schlie?en immer mit einem vergn?glichen Vers?hnungstanz.


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"R?uber"
der K?nstlerischen Handpuppenspiele "Die Hohnsteiner",
Hohnstein, S?chs.Schweiz.
Aquarell von Lotte Winnen


Kasperl Larifari ist ein Meister des Springens, der Purzelb?ume, des Kopfstehens, wenn diese n?rrischen Bewegungen einem fr?hlichen Purzelbaum der Gedanken entspringen. Er lehrt uns, wie bedauernswert, noch in Glanz und Ehren, im Grunde alle Menschen sind, deren Wissen und Wille nicht auch einmal kopfstehen kann, so da? sie den Aktenbogen mit lustigen Schn?rkeleien f?llen, ?ber den Rinnstein springen, seilt?nzerhaft auf der Steinfugen des Pflasters balancieren, die aufgepustete Zigarrent?te -patsch!- mit den H?nden zerklatschen, eine braune Kastanie vor sich hertrudeln, auf den Rummelplatz gehen und Karussell fahren.


Jakob Rotenhagens Spiel auf dem Paderborner Liboriberg ist nur noch eine Erinnerung an die Kindheit eines F?nfzigj?hrigen. Aber diese Erinnerung l??t mich in tr?ber Stunde noch heute manchmal lachen. Es hat mich so sehr zu Kasperls Freund gemacht, da? ich mir auch ihn zum Freunde gewann, und der gute alte, ewig junge hat mich immer aufs neue reich beschenkt. So ist wohl manches Spiel und manches Spielzeug ebenso wichtig wie viele Gewerke und Werkzeuge. Sind nicht auch die gr??ten M?nner einmal klein gewesen? Entdecker und Erwecker haben strampelnd auf, der Mutter Armen gelegen. Erfinder und ?berwinder haben ihre ersten Hosen zerrissen. Genies von unbegrenzter Vorstellungskraft und Willensst?rke, die mit k?hnem Griff die Ideen ihrer Zeit in die Wirklichkeit hineinrissen, haben die Spiele gespielt, die allgemein sind und so alt wie die Menschheit selbst. Der verst?ndige Beobachter aber entdeckt schon im Spiel manchen Zug, der auf Charakter und Neigungen des Erwachsenen hinweist. Die fr?he Freundschaft mit dem Kasperl ist ein gutes Zeichen f?r die Aufgeschlossenheit und Regsamkeit der Kindesseele, so wie die sp?te Freundschaft mit ihm der sichere Beweis eines junggebliebenen Herzens sein mag.


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